Der grausame König Watzmann

Im Berchtesgadener Land herrschte in alten Zeiten einst ein König namens Watzmann, der war durch und durch böse. Auch die Königin und ihre sieben Kinder waren von einer Schlechtigkeit und Grausamkeit, dass selbst der Teufel noch von ihnen lernen konnte. Die fiese Familie hatte denn auch an kaum etwas anderem Spaß als an der blutrünstigen Jagd.
Fast jeden Tag berauschten sie sich aufs Neue am wilden Ritt durch Wald und Flur, hinter sich das Gekläffe der Hundemeute und das Brüllen der Jagdhörner, vor sich das gehetzte Wild, das ängstlich in alle Himmelsrichtungen vor ihnen floh. Sie hatten einen wahrhaft höllischen Spaß an diesem Treiben. Jedes
Mal, wenn die Hunde einen Hirsch oder auch schon einmal ein Schaf oder eine Kuh gerissen hatten und das arme Tier vor ihren Augen zerfetzten, lachten sie lauthals vor Schadenfreude und Mordlust.

Eines Tages veranstalteten der König und seine liederliche Sippe wieder einmal eine Hetzjagd. In aller Frühe ging es mit großem Gefolge und viel Hörnerschall vom Schloss hinunter in den Wald, durchs Unterholz und weiter über Äcker und Wiesen. Sie blickten nicht nach rechts, nicht nach links. Immer geradeaus verfolgten sie jedes Tier, das ihnen über den Weg gelaufen kam. Wie sie nach einer Weile an einem einsamen Bauernhof vorbeistürmten, wurde ihr Ritt auch nicht eine Spur langsamer. So jagten sie über den Hof, trampelten Gemüse, Blumen und Zäune nieder und hielten selbst dann nicht inne, als plötzlich eine alte Frau mit ihrem Enkelkind auf dem Arm aus dem Stall kam und ihren Weg kreuzte.
Mit wildem Galopp preschten sie geradewegs auf die wehrlose Alte zu und rannten sie einfach über den Haufen. Vom Schreien des Kindes aufgeschreckt, rannten Bauer und Bäuerin aus dem Haus und sahen entsetzt die Großmutter in ihrem Blut am Boden liegen. Da wendete König Watzmann sein Pferd und trampelte auch die beiden Bauersleute nieder. Zu guter Letzt hetzte er noch seine Hunde auf sie und hielt sich seinen fetten Bauch vor Lachen.
Im Sterben streckte die Großmutter die Hand zum Himmel empor und verfluchte den König: »Dein Herz ist schon aus Stein! So sollen du und deine Höllenbrut nun ganz zu Stein werden!«
Da wurde es mit einem Schlag stockfinster, die Erde bebte, ein tosender, brausender Sturm kam auf und Blitze zuckten wie Henkersbeile vom Himmel herunter. Die verschreckten Pferde bäumten sich auf und warfen den König, die Königin und die sieben Kinder ab.
Im gleichen Augenblick aber, wo die Verfluchten die Erde berührten, erstarrten sie zu Felsen, die
so lange in den Himmel wuchsen, bis sie sich in gewaltige Berge verwandelt hatten. Seit diesem Tag blickt nun der grausame Watzmann als ewiger Fels auf das Berchtesgadener Land herab, zu seinen Füßen hockt sein barbarisches Weib, und die Kinder müssen als sieben Felszacken stumm dabeistehen.